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Juli 2005: Robert James Waller – Die Brücken am Fluss

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An dieses Buch wurde ich erinnert, als ich mir vor einigen Monaten die gleichnamige Verfilmung mit Meryl Streep und Clint Eastwood ansah. Der Film ist großartig, obwohl die literarische Vorlage leicht abgewandelt ist. Es wird nämlich eine Rahmenhandlung eingeführt, in der die Kinder von Francesca nach ihrem Tod ihren Bericht lesen, wie sie beinahe die Familie verlassen hätte, und so völlig geschockt eine unbekannte Seite ihrer Mutter kennenlernen. Dies hilft ihnen jedoch, ihr eigenes Beziehungsleben in die Hand zu nehmen und den Mut zu Änderungen zu finden. Im Buch ist dieser filmische Dreh nicht notwendig, da hier der auktoriale Erzähler alle nötigen Einführungen der Charaktere übernimmt, mitunter auch in der Zeit vorgreift und die Geschichte aus der Sicht beider Protagonisten erzählt (im Film hört man mitunter die Stimme von Meryl Streep, als würde sie aus ihren Aufzeichnungen lesen).

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Quelle: amazon.de

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Jetzt bin ich in meiner typisch chaotischen Art mit der Tür ins Haus gefallen, ohne zunächst den tatsächlichen Inhalt des Romans zusammenzufassen. Es ist eine ungewöhnliche Liebesgeschichte – ungewöhnlich deshalb, weil sie sich zwischen zwei nicht mehr ganz jungen Menschen abspielt. Francesca Johnson ist die Frau eines Farmers in Iowa, ihre zwei Kinder sind im Teenageralter. Die gebürtige Italienerin führt ein ganz normales, arbeitsames, aber eintöniges Leben und hat alle Träume ihrer Jugendzeit begraben. An einem Wochenende, als ihr Mann und die Kinder auf eine Landwirtschaftsmesse gefahren sind, kommt ein Fotograf, Robert Kincaid, in die Kleinstadt, der für die National Geographic arbeitet und die Brücken der Gegend fotografieren möchte (im Original heißt der Roman „The Bridges of Madison County“, der County ist fiktiv): Sie haben die Besonderheit, überdacht zu sein. Zufällig trifft er Francesca, die ihm die Gegend und die Brücken zeigt. Die beiden sind sich sogleich sympathisch und sie lädt ihn zum Abendessen ein. Robert erzählt von seinen zahlreichen Abenteuern in allen Teilen der Welt, wohin ihn sein Beruf geführt hat. Damit weckt er eine verborgene Sehnsucht in Francesca, die stets nur für ihre Familie da gewesen ist und in deren Leben, abgesehen von der Immigration aus Italien in die USA, (sie hatte ihren Mann während seiner Armeezeit kennengelernt) kaum etwas Aufregendes geschehen ist. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Charakteren entwickelt sich eine starke Anziehung und Liebe, wie sie keiner von ihnen vorher in dieser Intensität erlebt hat. Gleichzeitig wissen sie, dass ihnen nur die zwei Tage bleiben, bis Francescas Familie zurückkommt – denn obwohl sie ernsthaft überlegt, mit Robert fortzugehen, entscheidet sie sich am Ende und trotz Roberts Bitten gegen ihre Gefühle. In einer ergreifenden Szene sitzt sie mit ihrem Mann im Auto und vor ihnen an der Ampel steht Roberts Wagen, bereit zum Abbiegen, wartend obwohl die Ampel grün ist, und Francesca ist kurz davor, herauszuspringen und bei ihm einzusteigen…Sie werden sich nie wiedersehen.

Obwohl dies alles sehr nach Herzschmerz klingt, ist es eine ganz und gar unkitschige Liebesgeschichte, was sicher auch daran liegt, dass die Protagonisten schon einige Lebenserfahrung aufweisen und nicht blauäugig in die Romanze schlittern, obwohl ihre Gefühle langsam aber sicher die Oberhand gewinnen. Das Buch gibt mir jungem Spund Hoffnung, dass auch mit 40, 50 das Leben noch Überraschungen parat haben kann und stellt gleichzeitig die Frage, wie man selbst sich in einer solchen Lage entscheiden würde: Einmal ganz egoistisch für das eigene (vielleicht trügerische) Glück oder doch für das Glück der Familie, die einen ja auch liebt? Im Film gibt es einige Dialoge, die meiner Erinnerung nach nicht im Buch vorkommen, so beschreibt Francesca das Gefühl, wie als Mutter fast vergisst, selbst vorwärts zu drängen, weil man diesen Staffelstab quasi an die Kinder übergeben hat und stehen bleibt, während sie sich entwickeln. Und deshalb fällt es ihr so schwer, plötzlich eine so grundlegende Entscheidung zu treffen, wie einfach ihre Koffer zu packen und mit Robert fortzugehen.

Der Autor veröffentlichte noch eine Art Epilog zu dem Roman, „Der Weg der Liebe“ (auf Englisch „A Thousand Country Roads“) – nein, die beiden treffen sich nicht wieder, nur fast, und viele Erinnerungen werden heraufbeschworen… Es geht auch um Roberts Sohn aus einer früheren Beziehung, aber im Großen und Ganzen ist es nur ein Abklatsch der wirklich guten Originalgeschichte und es sollte wohl noch etwas Profit aus dem sehr erfolgreichen „Brücken am Fluss“ geschlagen werden. Das Sequel kann man aber getrost und vernachlässigen und es sollte niemanden davon abhalten, diese wunderschöne Liebesgeschichte – ob als Roman oder Film – kennenzulernen, es lohnt sich.



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